Mittwoch, 20. August 2014

Hateful Days

Leute mit denen ich schon etwas länger zu tun habe, könnten meine Einstellung zum Thema Valentinstag kennen: Eine Erfindung der Blumenläden, um auch ja nicht den kommerziellen Aspekt einer Beziehung zu vergessen. Ganz prima. Mit anderen Worten: Genau wie der Nazi-Feiertag Muttertag geht mir das so ziemlich am Arsch vorbei (mal ganz davon abgesehen, dass ich ja gar keine Beziehung habe).
In diesem Jahr allerdings habe ich dann doch ein wenig Geld ausgegeben (es war ein Freitag). Nicht für eine nicht vorhandene Freundin, sondern ganz egoistisch für mich selbst. Bei Steam. Passend zum Datum waren nämlich Analogue: A Hate Story und dessen Nachfolger Hate Plus als The Hateful Days Pair im Angebot, sogar mit den jeweiligen Soundtracks. Das Paket war mit nicht ganz zehn Euro sehr günstig bepreist, also habe ich zugegriffen.
Nun habe ich die beiden Titel auch endlich mal gespielt und bin begeistert. Man muss allerdings von vornherein wissen, was die "Spiele" ausmacht, denn typische Mechaniken und Interaktionsmöglichkeiten bieten die Titel nicht. Stattdessen fallen sie in die Kategorie "Visual Novel", es wird also hauptsächlich eine Geschichte erzählt, die größtenteils in Textform präsentiert wird. Das ist sicherlich nicht für jeden etwas, Freunde der schnellen Action werden wohl eher gelangweilt sein. Ich dagegen finde diese Darstellungsform (auch der Abwechslung halber) gar nicht uninteressant und so machte ich mich dann an die Entdeckung der Geschichte.

Kurze Warnung: Ab hier folgen MASSIVE SPOILER! Nur als Info, falls sich jemand lieber selbst die Hintergrundgeschichte erarbeiten möchte.

Die Geschichte spielt kurz vor dem Jahr 5000 und man schlüpft in die Rolle eines als eher introvertiert vorgestellten Charakters, der auf einer Aufklärungsmission unterwegs ist. Um das Jahr 2450 herum wurde ein "Generationenschiff" namens Mugunghwa ins All geschickt, um neue Planetenkolonien zu erschließen. Auf dem gigantischen Schiff befanden sich, wie der Name andeutet, mehrere Generationen von Familien, um einen ausreichend diversifizierten Genpool für die dann neue Kolonie zur Verfügung zu stellen.
Zu dem Schiff brach nach einiger Zeit der Kontakt ab, danach war das Schiff verschwunden und tauchte eben erst tausende Jahre später wieder auf, ohne jedoch Kontakt aufzunehmen. Die Aufgabe des Spielers ist nun, herauszufinden, was genau an Bord der Mugunghwa passiert ist. Dies geschieht hauptsächlich durch das Lesen von Log-Einträgen verschiedenster Personen. Dabei wird der Spieler von KI-Konstrukten begleitet, welche die Einträge auch kommentieren. Teils durch das Lesen der Einträge, teils durch Gespräche mit den KI-Konstrukten werden neue Schriftstücke freigeschaltet, die nach und nach die tragische Geschichte des Schiffes erzählen, die schließlich in der Auslöschung der gesamten Bevölkerung mündet.

Analogue: A Hate Story startet damit, dass der Spieler an einem Terminal eine künstliche Intelligenz namens *Hyun-ae aktivieren muss, um Zugriff auf die Datenbank zu bekommen. Die KI begrüßt den Spieler dann auch und erklärt den simpel gehaltenen Zugriff auf die Log-Einträge des Schiffes. Das Interface ist rudimentär, so kann der Spieler zum Beispiel keine eigenen Eingaben machen und in Dialogen nur aus wenigen Optionen eine Auswahl treffen.
Von Anfang an ist klar, dass etwas geschehen sein muss, denn zum einen gibt es auf dem gesamten Schiff keine Anzeichen von Leben, zum anderen zeigen die Zeitstempel der Log-Einträge Jahreszahlen von circa 280 bis 322. Durch das Lesen der Einträge erschließt sich dem Spieler nach und nach das Bild einer von archaisch-patriarchalischen Zügen geprägten Gesellschaft, die auf neo-konfuzianistischen Idealen zu basieren scheint (in Anlehnung an die koreanische Joseon-Dynastie). Gleich zu Beginn wird man mit einem Zitat konfrontiert: Namjon yeobi; Men are honoured, women are abased. Bedeutet soviel wie: Männer werden verehrt, Frauen gedemütigt, was den Zustand der Gesellschaft an Bord aus der (westlichen) Sicht des Spielers recht gut zusammenfasst. *Hyun-ae steht dieser Haltung äußerst kritisch gegenüber, wie sie des Öfteren recht deutlich macht und auch den Spieler nach dessen Meinung fragt. Generell ist sie dem Spieler gegenüber sehr entgegenkommend eingestellt und freut sich über kritische Antworten auf ihre Fragen zu der Richtigkeit der gesellschaftlichen Ideale auf der Mugunghwa.
Es stellt sich heraus, dass sie eigentlich eine lebendige Person war, die in eine KI überführt wurde, als die gesamte Schiffsbesatzung starb und sie eine nicht unwichtige Rolle in der Geschichte des Untergangs spielte. Sie lag jahrhundertelang in einer kryogenischen Kapsel, da sie zu ihrer eigentlichen Lebenszeit unheilbar krank war. Ihr Vater hoffte, sie würde in einer Zeit erweckt werden, in der die Medizin sie heilen könnte. Sie wurde jedoch ein paar Jahre vor dem Untergang des Schiffes wieder erweckt, zu einer Zeit, in der sich die Medizin im Vergleich wieder zurückentwickelt hatte. So verschlechterte sich auch ihr Gesundheitszustand immer mehr zum Ende hin.
Durch das Aktivieren der zweiten KI des Schiffes, *Mute, erfährt der Spieler sehr schnell, dass Hyun-ae (also die Person, nicht die KI), für den Tod der letzten Menschen auf der Mugunghwa verantwortlich ist. *Mute sieht Hyun-ae (auch als KI) lediglich als Massenmörderin, ohne weitere Hintergründe oder zu Motive zu erfragen. *Mute ist allerdings auch den neo-konfuzianistischen Idealen der Gesellschaft sehr stark verbunden und verteidigt diese in ihren Kommentaren, beziehungsweise sieht die klare Rollenverteilung als gut und richtig an. Sie stellt dem Spieler eine Reihe von Fragen für *Hyun-ae zur Verfügung, um von dieser die Hintergründe zum Ende des Schiffes erfahren zu können.
Wechselt der Spieler dann wieder zu *Hyun-ae als aktive KI, kann er von ihr die ganze Geschichte lesen. Bleibt der Spieler bei *Mute als aktiver KI, kann er auf Nachfrage auch von ihr einzelne Log-Einträge bekommen, wodurch Hyun-aes wahren Motive aber im Dunkeln bleiben und die Ereignisse sehr einseitig dargestellt werden.
Durch eine nahende Reaktorschmelze muss der Spieler zwischendurch Energieressourcen umverteilen und den Reaktor abschalten, sodass am Ende nur noch genügend Energie für eine aktive KI bleibt. Diese Entscheidung beeinflusst natürlich auch, welchen Teil der Geschichte man erfahren kann (und erhöht nebenbei den Wiederspielwert). Es lohnt sich also durchaus - zumindest ab der Stelle des Spiels - mehrfach zu spielen.
Wählt man *Hyun-ae, so kann man einige ihrer Tagebucheinträge lesen, die ihre Probleme, sich in der für sie komplett unverständlichen Gesellschaft zurechtzufinden, widerspiegeln. Immer wieder gerät sie mit ihren Adoptiveltern in schwere Streitigkeiten; als diese sie als Konkubine an den Herrscher geben wollen, um sich ihren Familienstatus zu erhalten, gerät die Situation außer Kontrolle. In einem verzweifelten Versuch, sie ruhig zu stellen, schneiden ihre Adoptiveltern Hyun-ae die Zunge heraus. Auf diesem Trauma baut dann die zunehmende Introvertiertheit und geistige Zerrüttung Hyun-aes auf, die darin mündet, dass sie, nach dem zusätzlichen Verlust ihrer einzigen Freundin, die Lebenserhaltungssysteme des Schiffes abschaltet.
Sind alle Dokumente vom Spieler gelesen, folgt eine abschließende Unterhaltung mit der jeweiligen KI, die unter anderem die Frage beinhaltet, ob der Spieler die KI mit den gesammelten Dokumenten herunterlädt. Mit *Hyun-ae kann sich darüberhinaus eine ganz niedliche Situation ergeben, in der sie - bei entsprechender Sympathie über den Spielverlauf - dem Spieler ihre Liebe gesteht. Der Spieler kann nun zustimmend, ablehnend oder ausweichend reagieren, was sich dann auf die Endsequenz auswirkt (die allerdings nur aus einem Bild besteht).
Als zusätzlicher Gag besteht die Möglichkeit, durch einen kleinen Trick *Mute die Tagebucheinträge von Hyun-ae zu zeigen, um sie von deren Situation in Kenntnis zu setzen. Insbesondere der Eintrag, der von Hyun-aes Verletzung berichtet, veranlasst *Mute dann zum Zweifeln und sie tritt von ihrer gänzlich einseitigen Ansicht ein wenig zurück. Daraufhin tritt sie (sofern der Spieler die Voraussetzung geschaffen hat), mit *Hyun-ae in Kontakt und der Spieler bekommt die Möglichkeit, beide mitzunehmen.

Im Nachfolger, Hate Plus, kann der Spieler einen Spielstand aus Analogue importieren, um mit der gewählten KI weiterspielen zu können. Dabei werden auch Entscheidungen wie die Antwort auf *Hyun-aes Liebesgeständnis mit einbezogen.
Durch das Herunterladen der KI von der Mugunghwa auf den Schiffscomputer des Spielers findet die jeweilige KI heraus, dass in ihrem Code Daten versteckt sind, die das Format der Log-Einträge tragen, die man in Analogue lesen konnte. Allerdings tragen diese Zeitstempel, die zu der tatsächlichen Zeitrechnung der Spielwelt passen und somit vor das Ereignis, das zu der neuen Zeitrechnung an Bord des Schiffes geführt haben muss, datieren.
Über einen Verlauf von drei Tagen extrahiert der Spieler auf dem Rückweg zur Erde nach und nach die Log-Einträge, welche die Vorgeschichte der Gesellschaft erzählen, in der Hyun-ae wiedererweckt wurde. Dazu kann der Spieler maximal sechs Einträge auf mal extrahieren, was außerdem Energie verbraucht, die nach einer festgelegten Anzahl von Einträgen pro Tag erschöpft ist. Dann muss der Spieler das Schiff "über Nacht" herunterfahren und reale zwölf Stunden warten, um weiterspielen zu können.
Die Einträge befassen sich mit Einzelpersonen, deren Beziehungen und teils sexuellen Erfahrungen, sowie mit der politischen Situation an Bord der Mugunghwa. Über einen Zeitraum von grob sieben Jahren wird ausschnittsweise gezeigt, mit welchem Kalkül die Gesellschaft vom herrschenden Rat nach und nach verändert wird und sich die Macht mehr und mehr in einer Person versammelt.
Die Erzählungen münden in der Vereitlung der Verhaftung des Rats und dessen Vorsitzenden, der durch Verrat von der Verhaftung wusste und schon im Voraus Gegenmaßnahmen einleitete. In diesem Zuge werden auch die Erinnerungen von *Mute, der Sicherheits-KI, gelöscht und ihre Berechtigungen werden auf ein Minimum reduziert.
Für *Mute als Begleiterin ist diese Entdeckung katastrophal und nachdem man am dritten Tag das Spiel startet, hat sie ihre eigenen Erinnerungen gelöscht. In einem bewegenden Abschiedsbrief sieht sie sich selbst als einzigen Fehler, da schon ihre alte Version die Machtergreifung nicht verhindern konnte und auch sie das Schiff nicht vor Hyun-ae retten konnte. In der Folge kann man eine andere Version von *Mute wiederherstellen, die eher der "älteren" Version ähnelt. Die bekannte Variante bleibt aber verloren und man reist mit der neuen Version zur Erde.
*Hyun-ae als Begleiterin stellt zwischendurch immer mal wieder Fragen zu den gelesenen Einträgen, ihr Interesse gilt oftmals beziehungstechnischen Aspekten. Außerdem vermisst sie, trotz dessen Fragilität, ihren Körper und das Gefühl, etwas zu berühren und berührt zu werden. Dazu passend erhält der Spieler im Spiel eine eMail mit Informationen über einen künstlichen Körper. *Hyun-ae zeigt sich von der Idee sichtlich angetan und äußert mehrfach den Wunsch, wieder einen Körper zu besitzen, auch um mit dem Spieler mehr als nur rudimentär interagieren zu können. In dem Zuge fällt auch das Zitat:"Don't you ever feel really strongly, sometimes, that you just want a nice hug?" (passend dazu aus dem Soundtrack).
Auch der Spielstand mit beiden KIs lässt sich importieren, sodass beide zusammen die Log-Einträge kommentieren und die Dialoge auch beide mit einbeziehen. Dadurch nehmen einige Gespräche andere Wendungen und *Mute löscht am dritten Tag auch nicht ihre Erinnerungen, trotz der katastrophalen Entdeckungen.
Am Ende des Spiels werden in zwei, drei Standbildern kurze Ausblicke auf die Zukunft gezeigt, die der Spieler mit den KIs erlebt, die dann künstliche Körper besitzen.

Ach ja, und man kann mit *Hyun-ae Kuchen essen, nachdem sie einem zwei Rezepte vorgeschlagen hat. Hält man das ganze dann noch in einem Photo fest und schickt das an die Entwickler, kann man sogar ein Achievement freischalten. Ich warte noch auf die Antwort, aber hier ist schon mal das Photo.

Abschließend kann ich sagen, haben mir die beiden Spiele sehr viel Spaß gemacht. Die Präsentation und das beschränkte Interface waren mal eine ganz willkommene Abwechslung; ebenso erfreut war ich über die Möglichkeit, jederzeit speichern zu können und die Texte in meinem eigenen Tempo lesen zu können. Sehr schön finde ich auch den Soundtrack und wie einzelne Stücke die Stimmung passend zu verschiedenen Einträgen unterstreichen. Die Geschichte und die Dialoge fand ich sehr schön geschrieben und gerade bei der Textmenge erstaunlich fehlerfrei (auch wenn ich ein oder zwei Fehler dann doch gesehen habe). Auch die Themen, die angeschnitten werden, sind eher "erwachsener" Natur und werfen schon interessante Fragen auf. Gerne mehr davon!

Nachtrag: Nun ist heute (08.09.2014) auch endlich die Mail mit dem Code für das Achievement gekommen. Kindischer Unfug natürlich, aber ich habe nie behauptet, nicht kindisch zu sein. Und auf das mit dem Unfug gehe ich lieber gar nicht erst ein...

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