Dienstag, 3. Mai 2016

Die lebenden Toten

Vor ein paar Minuten lief der (vorerst) letzte Abspann der The Walking Dead-Reihe von Telltale über meinen Bildschirm. Ich ringe noch ein wenig um die richtigen Worte, deswegen fange ich mal mit ein paar kurzen Infos zu den Spielen selbst an.

Bisher sind zwei Staffeln der Geschichte um das junge Mädchen Clementine erschienen, in diesem Jahr soll die dritte Staffel veröffentlicht werden (darüber hinaus ist jüngst mit der dritten und letzten Folge die The Walking Dead: Michonne Miniserie komplett, die allerdings nichts mit Clementines Geschichte zu tun hat). Wie es in Telltale-Adventures mittlerweile gebräuchlich ist, erschienen die Staffeln in einzelnen Episoden, jeweils fünf an der Zahl. Wie bei einer Fernsehserie auch gibt es zu Beginn einer Episode einen kurzen Rückblick auf vorangegangene Folgen und am Ende ebenso einen Ausblick auf die nächste Folge.
Das eigentliche Gameplay beschränkt sich auf einige, wenige Interaktionsmöglichkeiten. In einigen Szenen kann der Spieler den Charakter in einem gewissen Raum bewegen und verschiedene Dinge anklicken, um sie zu untersuchen oder aufzunehmen. Außerdem finden sich fast immer andere Figuren, mit denen der Spielercharakter Dialoge führen kann. In diesen Dialogen kann der Spieler teilweise zwischen bis zu vier verschiedenen Optionen auswählen, um Fragen zu stellen, Antworten oder Ratschläge zu geben oder einfach nur Konversation zu führen.
An anderen Stellen muss der Spieler schnell reagieren, um zum Beispiel auf Zombies zu schießen, ihnen auszuweichen, jemandem zu helfen und so weiter. Im Kern handelt es sich also von der Spielmechanik her gesehen um ein relativ seichtes Point and Click-Adventure mit eingestreuten Quick Time Events.
Die Spiele stechen allerdings auch nicht durch ihr innovatives Gameplay hervor, sondern durch die Geschichte(n), die sie erzählen. Ab jetzt gilt: SPOILERGEFAHR!

Die erste Staffel beginnt relativ unaufgeregt mit einer Fahrt im Streifenwagen. Der Spielercharakter, Lee Everett wurde des Mordes an einem Senator verurteilt, der ein Verhältnis mit seiner Frau hatte. Die Fahrt endet sehr abrupt, als ein Zombie vor das Auto schlurft. Im Folgenden flieht Lee vor weiteren Zombies und trifft schließlich auf das Mädchen Clementine. Sie hat sich in ihrem Baumhaus versteckt, da die Babysitterin mittlerweile Hunger auf Menschenfleisch verspürt.
Ab diesem Zeitpunkt sind die beiden gemeinsam unterwegs und Lee tut alles, um Clementine zu schützen. Natürlich treffen die beiden auch auf weitere Überlebende, was mal mehr, mal weniger gut funktioniert und immer für sehr interessante Dialoge und teils auch zu treffende Entscheidungen sorgt. Das Zusammenspiel von Lee und Clementine ist dabei absolut großartig geschrieben und toll in Szene gesetzt. Besonders die Momente im späteren Verlauf der ersten Staffel, an denen Clementine verschwunden ist, sind nervenzerfetzend spannend. Ebenso wird es zum Ende der letzten Episode geradezu brutal emotional, denn Lee muss sich seinem Schicksal stellen, da auch er schlussendlich von einem Zombie gebissen wurde. Der letzte Wortwechsel zwischen dem erwachsenen Mann und dem kleinen Mädchen war unglaublich ergreifend und ich war schon ziemlich gerührt.
Auch der sehr schöne und atmospärisch stimmige Soundtrack trägt seinen Teil dazu bei, speziell dieser Track: Alive Inside, der in emotionalen Szenen immer wieder eingespielt wird.

In der zweiten Staffel steuert der Spieler die mittlerweile elfjährige Clementine, die anfangs mit Christa und Omid, Charakteren aus der ersten Staffel, unterwegs ist. Die anfängliche Unbeschwertheit weicht selbstverständlich schnell wieder Chaos und Tod. Durch den Sturz in einen Fluss wird Clementine mit anderen Charakteren zusammengebracht, die allerdings weniger sympathisch eingeführt werden. Zwar wird die Situation besser, doch erreicht die Qualität der Interaktion nie ganz das Niveau von Lee und Clementine.
Später trifft man sogar noch einen totgeglaubten Charakter aus der ersten Staffel wieder, welcher auch zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte wird. Leider wird er auch zunehmend psychisch instabiler, was am Ende des Spiels dazu führen kann, dass Clementine ihn erschießt.

Durch immer wieder auftretende Entscheidungspunkte im Spiel erhöht sich der Wiederspielwert enorm. Die grundsätzliche Geschichte ändert sich in ihrem Verlauf nicht, allerdings hat man zum Beispiel die Wahl, einen von zwei Charakteren zu retten (was dann im Tod des anderen resultiert). Das ändert dann wiederum mögliche Dialogoptionen, Interaktionen mit anderen Figuren et cetera.
Die Speicherdaten aus der ersten Staffel (und dem zusätzlich verfügbaren DLC 400 Days) können dabei sogar in die zweite Staffel übernommen werden.

Ein paar Highlights aus den beiden Staffeln:
Ich habe Lee sich den Arm amputieren lassen (nach einem Zombiebiss)
Ich habe Lee sich und Clementine mit Zombie-Eingeweiden einschmieren lassen (um durch eine Zombiehorde gehen zu können)
Ich habe Clementine nach einem Angriff einen Hund töten lassen (der danach schwer verwundet im Sterben lag)
Ich habe Clementine dazu gebracht, mitanzusehen, wie Kenny mit einer Brechstange Carver so lange ins Gesicht schlug, bis nur noch blutiger Matsch übrig war (und er hatte es verdient)
Ich habe Clementine Kenny töten lassen (bevor er Jane töten konnte)

Als Fazit kann ich sagen: Ein wirklich, wirklich tolles Erlebnis. Stellenweise sehr, sehr emotional, bedrückend, rührend und unglaublich atmosphärisch. Mindestens die erste Staffel sollte man definitiv mal gespielt haben. Allerdings sollte man nicht allzu zart besaitet sein, da es hin und wieder schon recht brutal zugeht.